- Friedensnobelpreis 1950: Ralph Johnson Bunche
- Friedensnobelpreis 1950: Ralph Johnson BuncheDas Nobelpreiskomitee zeichnete den in den Elendsvierteln von Detroit geborenenen US-Bürger für seine Vermittlerrolle im ersten Nahostkrieg zwischen Israel und den arabischen Staaten aus.Ralph Johnson Bunche, * Detroit (Michigan) 7. 8. 1904, ✝ New York 9. 12. 1971; ab 1938 Professor an der Howard University in Washington D.C., 1941-44 Experte für Kolonialpolitik im US-Außenministerium, ab 1946 Mitarbeiter der Vereinten Nationen in verschiedenen leitenden Positionen, 1948/49 Vermittler im Palästinakrieg, 1967-71 stellvertretender Generalsekretär der UNO.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie Biografie des Preisträgers enthält eine ganze Reihe von Superlativen: Er war der erste Friedensnobelpreisträger dunkler Hautfarbe und gleichzeitig einer der jüngsten, er promovierte als erster farbiger US-Bürger in Politologie — und zwar an der Eliteuniversität von Harvard in Cambridge (Massachusetts) — und erhielt als einer der ersten Afroamerikaner eine führende Position im Außenministerium in der Bundeshauptstadt Washington. Anlässlich der Preisverleihung im Dezember 1950 wurde er als typischer Selfmademan bezeichnet, und in der Tat enthält sein Lebenslauf schon beinahe drehbuchreif alles, was man mit dem »American dream« verbindet: Er wuchs in den Elendsvierteln Detroits auf. Seine bettelarmen Eltern, die Nachkommen von Sklaven waren, starben früh. Der verwaiste Junge musste neben der Schule als Zeitungsverkäufer und Hausboy arbeiten. Seine Großmutter, die ihn und seine zwei kleinen Schwestern großzog, gab ihm vor allem drei Ratschläge für das Leben mit: »Suche nicht den Kampf, aber gehe ihm auch nicht aus dem Weg, wenn deine Überzeugungen auf dem Spiel stehen«, »nur Schwächlinge geben an Hindernissen gleich auf«, und »alle Menschen sind von Geburt aus gleich, lasse es also nicht zu, dass man dich anders behandelt.«Ralph Johnson Bunche beherzigte diese Leitsätze von Kindesbeinen an — schon als Grundschüler war er stets Klassenbester und glänzte mit sportlichen Höchstleistungen. Seine berufliche Karriere führte steil nach oben bis hin zum stellvertretenden Direktor einer Weltorganisation.In seinem bemerkenswerten Lebenslauf waren drei Karrieren gewissermaßen miteinander verflochten — die eines Wissenschaftlers, die eines Diplomaten und die eines Bürgerrechtlers. Als Politologen interessierten Bunche zunächst besonders die Beziehungen zwischen den Rassen in den USA, die er in den 1930er-Jahren gemeinsam mit dem Schweden Karl Gunnar Myrdal (Friedensnobelpreis 1982, Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1974) untersuchte. Der Haupttitel des Buchs, das die Ergebnisse dieser klassischen Studie enthält, lässt ahnen, wie problematisch die Beziehungen waren und sind: »An American Dilemma« (englisch; Ein amerikanisches Dilemma). Das oft gespannte Verhältnis zwischen den Rassen war auch Gegenstand der Untersuchungen, die Bunche ab 1932 im Rahmen seiner Doktorarbeit in einigen französischen Kolonien in Afrika durchführte.Ein sachkundiger, geduldiger VermittlerDie amerikanische Regierung wurde bald auf den ausgewiesenen Kenner der Rassenproblematik und der Kolonialpolitik aufmerksam. 1941 gab Ralph Johnson Bunche seine Lehr- und Forschungstätigkeit an der Howard-Universität in Washington, einer rein afroamerikanischen Hochschule, auf, um während des Zweiten Weltkriegs im US-Außenministerium als Experte für Kolonialpolitik zu arbeiten. Er war in dieser Zeit gleichzeitig Mitglied des »Schwarzen Kabinetts«, das von der US-Regierung unter Präsident Roosevelt in Rassenfragen zu Rate gezogen wurde. In den letzten Kriegsjahren beschäftigte er sich aber mehr und mehr mit den Plänen zur Gründung einer neuen Staatengemeinschaft. So war er 1945 in San Francisco Mitglied der Gründungsversammlung der Vereinten Nationen und übernahm ein Jahr später im Sekretariat der UNO als Direktor den Treuhänderausschuss.Dieser Ausschuss war für die Verwaltung der vom Völkerbund übernommenen, noch bestehenden Mandatsgebiete verantwortlich. Sie umfassten die nach dem Ersten Weltkrieg an die Siegermächte abgetretenen ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika und Ozeanien sowie die ehemals türkischen Territorien in Vorderasien, darunter Palästina, das dort als letztes Gebiet von den Briten verwaltet wurde. Für die britische Regierung war die Verwaltung des »Heiligen Lands« eine undankbare Aufgabe, denn es kam immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen arabischen Palästinensern und jüdischen Einwanderern, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und dann verstärkt während der Diktatur der Nationalsozialisten in Deutschland und Europa in die jüdische Urheimat am Jordan strömten. Um den Konflikt noch vor dem geplanten Abzug der britischen Truppen zu entschärfen, beschlossen die Vereinten Nationen im November 1947, das Mandatsgebiet in einen jüdischen und einen arabisch-palästinensischen Staat zu teilen.Mit diesem Teilungsplan stießen sie bei den Arabern jedoch auf entschiedene Ablehnung. Unmittelbar nach der Proklamation des Staates Israel am 14. Mai 1948 brach der Palästinakrieg aus. Ralph Johnson Bunche, der am Teilungsplan maßgeblich mitgearbeitet hatte, konnte gemeinsam mit dem von der UNO als Vermittler benannten Schweden Folke Bernadotte Graf von Wisborg einen ersten Waffenstillstand aushandeln. Die Waffenruhe hielt jedoch nicht lange, und nachdem Bernadotte im September 1948 ermordet worden war, lag die gesamte Last der Verhandlungsführung auf Bunches Schultern. Mit »unendlicher Geduld« und »nie versiegendem Optimismus«, wie es in der Laudatio des Nobelpreiskomitees heißt, gelang es ihm nach fast elf Monaten pausenloser Verhandlung schließlich, die Gegner zur Unterschrift unter einen Waffenstillstandsvertrag zu bewegen.Zurück zu den WurzelnDer Waffenstillstandsvertrag hat, wie sich bald herausstellen sollte, den Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten nicht gelöst. Mit der ihm eigenen Beharrlichkeit war Bunche trotzdem später noch häufiger im Auftrag der UNO in mehreren Konflikten als Vermittler tätig, etwa 1956 im Suezkrieg, 1960 im Kongo, 1964 in Zypern sowie in Kaschmir und im Jemen. Das Angebot, in der US-Regierung ein hohes Amt zu übernehmen, lehnte er ab, um sich ganz der Arbeit in den Vereinten Nationen und dem Kampf für die Rechte der farbigen US-Bürger zu widmen. Mehr als zwei Jahrzehnte lang führte er die Nationale Vereinigung zur Förderung der farbigen Bevölkerung der USA und beteiligte sich zusammen mit dem Bürgerrechtler Martin Luther King (Nobelpreis 1964) an Protestmärschen gegen die Rassendiskriminierung. Er verurteilte den Vietnamkrieg, in dem seiner Ansicht nach Milliarden verschwendet wurden, die man besser für soziale Projekte verwenden sollte. Trotz seiner angegriffenen Gesundheit war er bis wenige Monate vor seinem Tod für die Vereinten Nationen im Einsatz. Er war ein enger Vertrauter von UN-Generalsekretär U Thant und in einer UN-Kommission für die friedliche Nutzung der Kernenergie tätig.P. Göbel
Universal-Lexikon. 2012.